Liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt, in Christus geliebte Brüder und Schwestern!

Einen Teil meiner Weihnachtsbotschaft bringe ich in diesem Jahr im Gebet zum Ausdruck.
Die Botschaft des Weihnachtsfestes, die Art und Weise, wie Jesus in diese Welt kam, ist für unser Leben Quelle ständiger Erneuerung. Dreissig Jahre lang noch blieb die Welt so wie sie war, er hat nichts umgestürzt. Jesus ist in die Welt gekommen und war, ganz einfach, unter uns da. Erst nach dreissig Jahren stillen Lebens in Nazareth und drei Jahren öffentlichen Wirkens, wird die Menschheit vor die Entscheidung gestellt. Aber auch dann lässt er ihnen den freien Entschluss, selbst wenn ihm dies das Leben kostet.
Können wir denn Jesus tatsächlich verstehen? Nicht vor allem mit Kopf und Verstand, sondern mit unserem Leben. Er ist so unter uns gekommen, wie er gern möchte, dass auch jene leben, die ihm folgen. Und wenn diese so leben würden, dann würde, durch sie, auch die anderen in der Welt ihn kennen, lieb gewinnen und ihm folgen wollen. Wir stellen Diagnosen: Warum ist die Welt nun so oder so. Er, hingegen, der Menschensohn, ist als Kleinster unter allen gekommen, „nicht um die Welt zu richten, sondern um sie zu retten“ (vgl. Joh 12,47), er lebte so wie die Menschenkinder leben sollten und zeigte mit seinem Leben, später auch mit seinen Worten, wie Gott die Krone der Schöpfung, den Menschen erdacht hat.
Bitten wir ihn, uns zu lehren, wie wir ihn richtig verstehen sollen, damit wir, in seiner Nachfolge, ein menschenwürdiges Leben führen, ein Leben das der Schöpfung Desjenigen würdig ist, der uns das Leben geschenkt hat.
Herr Jesus Christus, Du bist geboren. Viele fragen, wo Du bist. In Bethlehem waren es wenige, die dich erkannt haben, nur jene, welche Dich sehr geliebt haben und jene, die von Gott Kunde erhielten. Bist Du auch heutzutage versteckt? Du lebst verhüllt im Tabernakel, in der Schlichtheit der Hostie, in den Armen, im Buchstabe und im Geist der Heiligen Schrift… Ja, Letzteres ist tatsächlich das in den meisten Sprachen übersetzte Buch, und auch das meistgedruckte… Aber finden Dich denn die Menschen? Ergeht es Dir nicht etwa, wie dem Sohn des Rabbi, der weinend sagte: „ich habe mich während des Spiels versteckt und keiner hat mich gesucht!?“ Wer findet Dich, Herr? – Nur wer viel liebt. Dem offenbarst Du Dich. Du hast ja gesagt: „Wer mich aber liebt, dem werde ich mich offenbaren.“ (vgl. Joh 14,21) Deshalb ist es immer noch so, bereits seit 2000 Jahren, dass viele, sehr viele Dich erkennen können… in den Leidenden, denen sie vielleicht nur mit einem Glas Wasser beistehen können; aber Du belohnst diese Geste so, dass diese Dich noch besser erkennen können, weil Du Dich ihnen noch mehr offenbarst. Und weil Du die endlose Liebe bist, machst Du sie, während sie Dich erkennen, glücklich. Es gibt viele Menschen, die glücklich sind, weil sie für andere leben können.
Passives Abwarten ist für uns eine Versuchung. Wir warten einfach ab, dass die Zeit vergeht, dass die Pandemie vorüber ist, dass das Neue Jahr kommt… jedoch ein solches Abwarten lässt unser Leben leer dahinschwinden. „Eure Augen sind selig, weil sie sehen…“ (Mt 13,16), hast Du gesagt. Das Auge, das richtig sehen kann, spornt uns zu Taten an. Der Heilige Vater spricht über den Einklang von Verstand, Herz und Hände. Gesundes Sehen bewegt diese drei. Rufen wir auch, wie der Blinde in Jericho: „Herr, ich möchte sehen können!“ (Lk 18,41) Mit den Augen des Glaubens will ich sehen können, damit ich mit meiner Seele dein Gesicht heutzutage schauen kann, damit ich dich Begrüßen und lieben kann. „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst“ – sagte der Heilige Augustinus. Herr, lass mein Herz so sehr entflammen, damit ich viele zum Feuer dieser Liebe führen kann… nach Bethlehem. Maria, in ihrer Niedrigkeit, Josef, in seiner Stille, sie lieben, dienen, ziehen die Hirten und Engel an. Welch unergründliche Tiefe hat ihre Stille! Sie zieht uns an, wie das geheimnisvolle Echo in einem tiefen Brunnen.
Sohn Gottes, liebster Jesus, wer kann Dich erkennen, da Du in solch äußerster Schlichtheit geboren wurdest, so klein und verletzlich? Wer kann, in all dem, den Allmächtigen erkennen? – Nur wer viel liebt. „Niemand wird wissen, dass ich ein Prinz war“, klagt der Dichter beim Tod der Mutter (Mécs L.). Denn nur die Mutter, nur jene Liebe, die Du, o Jesu, in der Schlichtheit des Weihnachtsgeschehens, in die Welt gebracht hast, und mit der Du Maria und Josef bekleidet hast, nur jene Liebe kann Dich auch in den Nächsten erkennen… „Das habt ihr Mir getan“. (Mt 25,40). Die Liturgie Mariens in Bethlehem: sie ist zugegen, sie betrachtet Dich, sie liebt Dich, sie ernährt Dich… sie ist für Dich da. Nichts ist sonst wichtig für sie, Außer der Tatsache, dass sie für Dich lebt. Mit ihr bricht die Morgenröte des Heils an für die Welt. Diese unendliche Schlichtheit fördert das Wachstum des Reiches Gottes.
Es gibt Menschen, die Dich in den Armen erkennen, im Tabernakel und auch in der Heiligen Schrift… Und es gibt Menschen, die Dich nirgendwo erkennen können. Wer bin ich, dass Du mir die Große Gnade zuteilwerden lässt, dass Du mich, wie die Hirten, nach Bethlehem rufst, dass Du mich Dich sehen lässt…? In meiner Seele sehe ich Dich, aber das bedeutet mir soviel mehr, als alles andere, was ich sehen könnte. Denn es erfüllt mein ganzes Wesen mit einem Licht, das nicht erlischt, so wie der Glanz der prunkvollen Lichter in von Touristen besuchten Palästen.
Ich bewundere, wie klein Du bist! Wie gut wäre es, wenn wir umso mehr wären, die wir das bewundern! Wie gut wäre es, wenn die Welt so sehr bewundern würde, wie klein Du bist, dass sie anfangen würde, Dich darin nachzuahmen!
In einem Büro habe ich gesehen, dass eine Angestellte sich Lieder über Dich anhörte. Dabei leuchteten ihre Augen, ihr Gesicht und ihre Seele. Würden Dir doch die Menschen auch so zuhören…, wieviel besser wäre dann die Welt, in der wir leben! Diese Welt wäre so menschlicher und, zugleich, göttlicher, weil sie ja Dir gefallen würden, dem unter uns geborenen Gott!
Wir sind Dein Volk. Wir sind zahlreich, aber wir wollen klein bleiben. Deine Sanftmut ermöglichte es, dass Du später zum geschlachteten Lamm wurdest. Und dies bedeutet uns ja so viel! Wärest Du mit Macht in die Welt gekommen, dann könnten wir nun den ganzen Tag lang klagen, dass wir ja keine Macht haben. Aber Du kamst in der Kraft der Liebe. Und die hast Du auch uns zuteil werden lassen. Und das Kind „wuchs heran und seine Weisheit nahm zu und er fand Gefallen bei Gott und den Menschen“ (Lk 2,52), so lesen wir. Auch unsere Liebe muss heranwachsen, an Weisheit zunehmen und Gefallen finden bei Gott und den Menschen.
Meinen Brüdern und Schwestern wünsche ich, dass wir gemeinsam in der Liebe des unter uns geborenen Jesukindes wachsen mögen!

Temeswar, Weihnachten 2021

✠ Josef Csaba Pál
Diözesanbischof