Gerhardus, der erste Bischof unserer Diözese, wurde um das Jahr 980 geboren und gehörte einem venezianischen Patriziergeschlecht mit angeblichen Wurzeln in der Lombardei (die Historiker vermuten, dass er ein Mitglied der Familie Sagredo war). Bei der Taufe hat der Knabe den Namen Georg bekommen. Der Legende nach soll die Kindheit des kleinen Georg von einer schweren Krankheit gekennzeichnet gewesen sein. Dementsprechend haben seine Eltern ein Gelübde abgelegt: wird das Kind gesund, so wird er Gott geweiht und soll in ein Kloster eintreten. So kam Georg ins Benediktinerkloster San Giorgio, auf der Insel Murano, und studierte dort die Heilige Schrift. Sein Vater, der Gerhard hieß, begab sich irgendwann zwischen 990 und 995 auf eine Pilgerreise ins Heilige Land (nach anderen Quellen nahm er an einem Kreuzzug teil), wo er sein Leben verlor. Zu dieser Zeit änderte Georg seinen Namen, auf Wunsch seiner Mutter, und wurde seitdem, seinem verstorbenen Vater zu Ehre, Gerhard genannt. Im Jahr 1005 wählten die Benediktinermönche der Abtei San Giorgio den ungefähr 25 Jahre alten Gerhard zum Prior. Ungefähr damals wurde er auch zum Priester geweiht. Kurz danach fing Gerhard seine Studien in Bologna an. Etwa mit 30 Jahren kehrte Gerhard in sein Kloster, auf der Insel Murano, zurück, wo er zum Abt dieser benediktinischen Gemeinschaft gewählt wurde.
Abt Gerhardus legte jedoch bald sein Amt nieder und begab sich auf eine Pilgerfahrt ins Heilige Land. Dies geschah etwa im Jahr 1015. Die Reise wurde aber von einem Sturm unterbrochen und Gerhards Schiff strandete an der Küste von Dalmatien, auf der Insel Sankt Andreas (heute Rovinj, Kroatien). Hier traf er den Abt von Martinsberg (Pannonhalma), Rasina, der ihn überzeugte, Halt zu machen, um den ungarischen König Stephan zu besuchen. Mit dessen Hilfe könnte er dann seine Fahrt, auf der Donau bis nach Konstantinopel und danach bis ins Heilige Land fortsetzen. So kamen beide Äbte nach Fünfkirchen (Pécs), wo Bischof Maurus (Mór) und Abt Anastasius (Anastáz) versuchten, Gerhard zu überzeugen, im Lande zu bleiben, um bei der Christianisierung des hier lebenden Volkes zu helfen. Als die zwei Kleriker am Hochfest Mariä Himmelfahrt nach Stuhlweißenburg (Székesfehérvár) fuhren, um den König Stephanus zu besuchen, nahmen sie auch den venezianischen Abt Gerhardus mit. Zu diesem Anlass, sprach der König Gerhard an: „Ich würde lieber, dass Du das Wort Gottes meinen Leuten verkündigen sollst, dass du die Gläubigen stärkst, den Glauben in der Herzen der Ungläubigen entzündest, dass du die jungen Keime und Pflanzen mit Wasser begießt; ich werde dir Macht geben, so dass du überall in meinem Land das Wort Gottes predigen kannst. Ich werde dir Begleiter geben, die dir Tag und Nacht dienen werden. Öffne nur einfach deinen Mund und lass den Samen des Lebens ins Herz dieses Volkes fallen. Geh nicht nach Jerusalem, denn ich werde dich sowieso nicht gehen lassen. Siehe, heute gebe ich dir den Bischofsstuhl von Maroschburg“ (Marosvár, Morisena, Legenda Maior Sancti Gerardi). Die Gründung der neuen Diözese verschob der König aber auf spätere Zeiten. Er betraute den Abt Gerhardus vorerst mit der Erziehung seines Sohnes, des Kronprinzen Emerich (Imre), aber auch mit verschiedenen diplomatischen Aufgaben. Nach der Erfüllung dieses erzieherischen Auftrags am königlichen Hof zog sich Gerhard 1023 als Einsiedler in den Wäldern von Bakonybél zurück und widmete sich dem Gebet, dem Studium der Heiligen Schrift und der Meditation.
Im Jahre 1030 rief König Stephanus den Einsiedler Gerhard aus seiner ruhigen Abgeschiedenheit zu sich, um ihn zum Bischof des neugegründeten Bistums Maroschburg zu ernennen. Das Gebiet dieser Diözese besetzte der ungarische König infolge eines Kampfes mit dem rebellierenden,lokalen Häuptling Achtum (Ajtony) und erstreckte sich von der Theiß zur Donau und bis zu den beiden Ufern der Marosch. Gemäß der Großen Legende des Heiligen Gerhard wurde der neue Oberhirte, samt einer Gruppe von zehn Mönche, vom neuen Grafen Tschanadinus (Csanád) zu seinen Bischofssitz begleitet:„…zuerst nach Oroszlanosch, wo er [Tschanadin, u. Anm.] ein Kloster zu Ehren des hl. Märtyrers Georg errichtet hat. Von hier gingen sie nach Maroschburg, wo griechische Mönche lebten und Gottesdienste nach ihren eigenen Vorschriften und Bräuchen zelebrierten. Der Bischof aber, nachdem er sich mit dem Grafen Tschanadinus absprach, sandte den griechischen Abt zusammen mit seinen Mönchen ins Kloster Oroszlanosch; deren Kloster [von Maroschburg, u. Anm.] aber, diente dem Bischof und seinen Mönchen als Herberge, solange der Bau des eigenen Klosters des hl. Märtyrers Georg nicht abgeschlossen war“(Legenda Maior Sancti Gerardi).
Schon gleich nach seiner Einführung organisierte Gerhard die Verkündigung des Evangeliums in seiner Diözese und das Gebiet seines jungen Bistums. Er teilte es in sieben Erzdekanate auf, baute und konsekrierte Kirchen, gründete eine Schule in der Bischofsstadt, weihte Priester und zugleich: „strömten Adelige und einfache Menschen, reiche und arme zu ihm, die auf dem Namen des einen Gottes, der Heiligen Dreifaltigkeit von ihm getauft werden wollten.“ Dem Bischof Gerhard ist es zu verdanken, dass die Verehrung der heiligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria sich auch auf diese Gebiete verbreitet hat.
Nach dem Tod des heiligen König Stephanus, am 15. August 1038, wurde das damalige Königreich Ungarn Schauplatz politischer Unruhen und blutiger Ereignisse, die das Engagement Gerhards forderten. Im Jahre 1043 lehnte Gerhard König Aba die Osterkrönung ab und griff ihn öffentlich wegen seiner politischen Morde an. Und als „zwischen König Peter [Aba Samuels Nachfolger u. Anm.] und den Magyaren große Unstimmigkeiten ausbrachen, sandten die Ungarn eine zahlreiche Botschaft zu Andreas, Béla und Levente, den Söhnen des Vászoly, die aus dem Stamm des hl. Stephanus waren, und baten diese von Polen nach Hause zu kommen.“ Damals machte sich Gerhardus auf den Weg, in der Gesellschaft von „Beszteréd, Bödi, Benéta und dem Grafen Szónok“von „Stuhlweißenburg nach Ofen [Buda, u. Anm.], um Andreas und Levente Ehrevoll zu empfangen.“Am 24. September 1046 jedoch griffen sie heidnische Rebellen bei der Pester Furt mit Steinen an. „Gerhard wurde gewaltvoll aus seinem Wagen heruntergezogen, in einer Schubkarre getan und vom Berg Kelenföld in die Tiefe geworfen. Und während er noch atmete, hat man seine Brust mit einer Lanze gestochen; dann wurde er zu einem Stein geschleppt, auf dem man seinen Kopfzerbrach. (…) Die Donau überflutete oft den Ort, aber das Blut vom Stein, auf den man den Kopf des heiligen Gerhardzerschlagen hatte, konnte der Fluss sieben Jahre lang nicht abwaschen, bis die Priester schließlich den Stein weggenommen haben.“ Der Berg, von dem der heilige Gerhard in die Donau geworfen wurde, trägt bis heute noch seinen Namen: Gerhardsberg (Gellért-hegy).
Der Leichnam des Märtyrers „wurde am nächsten Tag mit unzähligen Tränen in der Kirche der Gottesmutter Maria, in Pest, in den selben Gewändern, in denen er den Märtyrertor erlitten hat, zur Ruhe bestattet.“ Sieben Jahre später (im Jahre 1053), führten Bischof Maurus Abt Philippus die sterblichen Überreste des heiligen Gerhard nach Tschanad über. Sein Sarkophag ist später verloren gegangen.
Die Legende des heiligen König Stephanus von Ungarn berichtet, dass im Jahre 1083, zur Zeit des heiligen König Ladislaus, Gerhard, der erste Bischof von Tschanad und Protomärtyrer des Christentums Ungarns, zur Ehre der heiligen Altäre heiliggesprochen wurde. Mit ihm wurden auch der König Stephanus und dessen Sohn, der Fürst Emerich, heiliggesprochen. Die Reliquien des heiligen Bischofs befinden sich heute in Venedig, kleinere Teile werden aber auch in Bologna, Prag, Raab (Győr), Segedin (Szeged), Budapest, Stuhlweißenburg, Großbetschkerek (Zrenjanin), Tschanad und Temeswar verehrt.
Der heilige Gerhard ist der erste Bischof und Fürsprecher der drei Schwesterdiözesen von Szeged-Csanád, Großbetschkerek und Temeswar. Sein Werk, Deliberatio Gerardi Morisenae Ecclesiae Episcopi supra hymnum trium puerorum ad Isingrimum liberalem, wurde zum ersten Mal in der modernen Zeit im Jahre 1790 vom großen Gelehrten Ignatius (Ignác) Batthyány, Bischof von Siebenbürgen, veröffentlicht. Das einzige Exemplar des mittelalterlichen Manuskripts, welches über die Jahrhunderten erhalten geblieben ist, befindet sich in München, in der Bayerischen Staatsbibliothek, und trägt den Code Clm. 6211.