Seit Wochen hält ein kleiner Virus die ganze Welt in Atem, legt ganze Wirtschaftszweige lahm, bringt Menschen in große existentielle Nöte und, und … Und nicht zuletzt: gefährdet das Leben unzähliger Menschen! Virologen haben Alarm geschlagen, warnten und warnen vor dieser lebensbedrohlichen Pandemie. Der bisher erlebte und gelebte Alltag wurde über Nacht abgeschaltet. Undenkbares und Unvorstellbares wurden Wirklichkeit. Wir haben Einschränkungen im privaten und öffentlichen Leben in einem bisher unvorstellbaren Ausmaß erlebt. Auch das kirchliche Leben war davon massiv betroffen. Öffentliche Gottesdienste konnten nicht gefeiert werden. Wir haben die Kar- und Ostertage, den Höhepunkt des Kirchenjahres, in einer bisher nie dagewesenen Weis erlebt. Der Papst hat die Liturgie der Kar- und Ostertage ohne Anwesenheit der Pilger und Gläubigen gefeiert. Unser Heimatbischof Josef Csaba Pál hat die Liturgie der Kar-und Ostertage in der Kapelle des Bischöflichen Ordinariats zelebriert, die live auf der Facebook-Homepage der Diözese Temeswar übertragen wurden. Wir sind froh und dankbar, dass die Technik uns viele Möglichkeiten bietet, miteinander in Verbindung zu kommen und in Verbindung zu bleiben über alle räumlichen Entfernungen hinweg. Viele Menschen konnten in dieser Zeit nur übers Fernsehen, Radio und Internet Gottesdienste erleben und mitfeiern.
Nun öffnen sich wieder langsam die Türen, auch unsere Kirchentüren, so dass wir wieder miteinander Gottesdienst feiern können. Zwar öffnen sich die Türen nur einen spaltbreit, aber sie öffnen sich. Die Vorgaben zur Feier der öffentlichen Gottesdienste sind streng, ihre Umsetzung sind mit großem Aufwand verbunden. Von einer Rückkehr zur Normalität sind wir noch weit entfernt. Viele Menschen sind auch noch sehr verunsichert. Andere wiederum sind froh, dass man endlich wieder Gottesdienste feiern kann.
Was immer wir in den nächsten Wochen und Monaten auch tun können, es bleibt eine Notlösung, wie so vieles auch in unserem Alltag und in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen. Aber eine Notlösung ist meiner Meinung nach immer noch besser als gar keine Lösung.
Die Corona-Krise stellt auch unseren Glauben und unser Glaubensleben vor eine so noch nicht gekannte Herausforderung. Mich haben diese Ereignisse oft ratlos und manchmal auch sprachlos gemacht! Ein Gebet, das mich schon mehr als 40 Jahre begleitet, hat mir in den letzten Wochen und Monaten auch viel Kraft, Trost und Ermutigung gegeben.
Ich möchte hier nicht nur das Text des Gebetes bekannt machen, sondern (in kursiver Schrift) noch einige Gedanken hinzufügen, die mir immer wieder beim Beten in dieser schwierigen Zeit gekommen sind.

Gebet:

Du weißt den Weg
(aus dem „Gebetsschatz“ von A. M. Weigl S. 56-57: Die diese Worte sang, wurde zu
Riga am 22.05.1919 von den Kommunisten erschossen)

„Weiß ich den Weg auch nicht,
Du weißt ihn wohl.
Das macht die Seele still und friedensvoll.

(„Ja, Du weißt auch, was noch alles durch diese Pandemie auf uns zukommen wird, ich weiß es nicht! Aber gut, wenn Du das weißt!“

Ist`s doch umsonst, dass ich mich sorgend müh`,
Dass ängstlich schlägt mein Herz, sei`s spät, sei`s früh –
(Die Unsicherheit in der wir leben, macht mir schon zu schaffen!)
Du weißt den Weg ja doch!

(Und das ist wirklich beruhigend und tröstlich!)

Du weißt die Zeit –
Dein Plan liegt fertig stets und ist bereit.

(„Mein Gott, was hast du mit uns vor? Welcher Plan verbirgt sich hinter dieser weltweiten Pandemie? Und wie lange dauert sie noch an?“)

Ich preise Dich für Deiner Güte Macht.

(„Beim Anblick der vielen Särge in Norditalien habe ich von dieser Güte nichts gespürt. Ich will aber fest daran glauben, dass Du uns nicht im Stich lassen wirst!“)

Ich preis`die Gnade, die mir Heil gebracht.

(„Auch wenn ich Deine Güte jetzt nicht spüren kann, glaube ich daran, dass sich letztendlich alles zum Guten wenden wird.“)

Du weißt, woher der Wind so stürmisch weht,
Und du gebietest ihm, kommst nie zu spät.

(„Uns geht es wie dien Jüngern auf dem See Genesaret, als ein Sturm losbrach: Auch wir fragen besorgt: „Herr, kümmert es dich nicht, dass wir untergehen!“. Doch Du hast alles im Griff: Du wirst schon rechtzeitig Dein Machtwort sprechen und dem Sturm auf dem Meer unseres Lebens und unserer Welt Einhalt gebieten!“)

Drum wart`ich still.
Dein Wort ist ohne Trug.
Du weißt ja Weg und Zeit für mich –
Das ist genug!“

Das ist ein Gebet, aus dem ich gerade in dieser schwierigen Zeit viel Kraft schöpfe, auch wenn immer wieder Fragen und Zweifel aufkommen. Ich bin aber überzeugt: Gott gibt uns auch in dieser unruhigen, schwierigen Zeit einen letzten Halt und in der Botschaft Jesu finden wir für uns eine sichere Orientierung!
Wir Christen sind von unserem Glauben her Menschen der Hoffnung. Wir sind aber keine Träumer und Phantasten. Wir malen kein rosiges Bild von der Welt und ihren Zuständen. Wir Christen sind Realisten. Wir sehen die Welt so wie sie ist – in ihrer Widersprüchlichkeit und Unvollkommenheit. Wir wissen, dass die Welt bedroht ist: Wir sind oft bedrückt, traurig und einsam. Wir erleben Misserfolge, Enttäuschungen, wir stoßen an die Grenzen unserer Kräfte. Manchmal könnte man an der Welt und ihren Zuständen verzweifeln.
Und dennoch: Wir lassen uns nicht entmutigen! Denn es kann uns nichts passieren, ohne dass Gott es wüsste. Und ER verlässt die Seinen nicht. Er vergisst uns nicht. Er lässt uns nicht im Stich!
Das ist unsere Hoffnung auch in der Corona-Krise, in der wir uns immer noch befinden. Dass wir diese Krise mit Gottes Hilfe gut bestehen können, daran glaube ich. Aber wie wir durch diese Krise letztendlich kommen, wie viele Verluste wir zu verkraften haben, welchen Preis im Alltag wir zahlen müssen, dass weiß ich nicht. Da tappen wir alle im Dunkeln. Ich bin aber überzeugt: Unser christlicher Glaube schenkt uns so viel Licht als nötig, um die Dunkelheiten dieses Lebens und dieser Welt ertragen zu können. Der Herr hat nicht versprochen, die Last des Lebens einfach von uns zu nehmen. Er gibt uns aber Kraft, diese Last zu tragen. Und denken wir immer wieder daran: Wir müssen unseren Lebensweg nicht alleine gehen. Der Herr, unser Gott, geht mit. Und darum bleibe ich zuversichtlich inmitten vieler Fragen und Sorgen.
Die Corona-Pandemie ist eine weltweite, globale Erfahrung. Es gibt kaum ein Land auf dem Globus, das nicht betroffen wäre. Eine solche globale Erfahrung wird nicht ohne Folgen für unser persönliches, für das gesellschaftliche, aber auch für das kirchliche Leben bleiben. Man wird – wenn die Pandemie überwunden ist – nicht einfach da weitermachen können, wo man vor der Pandemie aufgehört hat. Man wird nicht so weitermachen können, als ob nichts gewesen wäre. Ich bin sicher: Es wird zu Veränderungen kommen. Welche das sind, das ist die spannende Frage.
Wird diese weltweite Corona-Krise die Menschheit zum Besseren verändern? Werden wir in Zukunft Prioritäten anders setzen? Werden wir mehr darauf achten, was wirklich zählt? Worauf es wirklich ankommt im Leben? Wird es unserer Gesellschaft gelingen, notwendige Verbesserungen im Gesundheitswesen und in anderen lebenswichtigen Bereichen vorzunehmen? Sind die Menschen endlich bereit das Thema „Klimawandel“ konsequent und entschieden anzugehen? Wird es insgesamt weniger Egoismus, weniger Streben nach Profit und Durchsetzung der eigenen Interessen geben, und stattdessen mehr Mitmenschlichkeit, mehr Gerechtigkeit und Solidarität?
Da sind wir alle gefragt und ich bin sicher, gerade unser christlicher Glaube kann uns eine wertvolle Hilfestellung geben, um uns den Herausforderungen zu stellen, die mit den eben genannten Fragen verbunden sind.
Die Erfahrungen, die jetzt alle weltweit machen, können die Menschen zu neuen Einsichten führen und so die Menschheit auch weiterbringen. Wir werden an bestimmte Wahrheiten, erinnert, die wir vergessen oder verdrängt haben. Die Macht des Menschen ist begrenzt, ja ein kleiner Virus hat genügt, um sie in Ohnmacht zu verwandeln.
Trotz aller Fortschritte in Wissenschaft und Technik, haben wir nicht alles im Griff. Es gibt keine absolute Sicherheit, unser Leben ist vielen Gefahren und Bedrohungen ausgesetzt. Wir Menschen sind aufeinander angewiesen, wir bleiben voneinander abhängig. Wir brauchen einander. Wir müssen auf vieles, was uns lieb und teuer ist, verzichten. Wir müssen bereit sein, Opfer zu bringen und uns anzustrengen.
Das sind Wahrheiten, die immer Gültigkeit hatten. Aber man hat darüber kaum noch gesprochen. Es war nicht „in“, so zu reden. Es klang so altmodisch und überholt.
Vielleicht ist man jetzt aufgrund der in dieser Krise gemachten Erfahrungen wieder mehr bereit, auf die Stimmen zu hören, die zur Besonnenheit und zu mehr Lebensweisheit mahnen. Vielleicht hat die christliche Botschaft, die uns ein Leben in Fülle verheißt, wieder eine größere Chance gehört zu werden.
Unser Christsein ist mehr als nur Beten und die Feier von Gottesdiensten. Unser christlicher Glaube muss alltagstauglich, sich im Alltag bewähren. Dazu ein Gedanke aus einem Zeitungsartikel, geschrieben in der Zeit, als noch keine öffentlichen Gottesdienste gefeiert werden konnten: „Auch wenn die Kirchen „dicht“ sind – anderen zu helfen, wie es jetzt unzählige Pflegekräfte und Ärzte, aber auch Nachbarn und Freunde tun – das ist der vielleicht größte Gottes-Dienst, den ein Christ zurzeit erweisen kann.“
Wer an Jesus glaubt, muss bereit sein zum Dienst an den Mitmenschen. Wir sollen Menschen werden, die sich engagieren, die sich einsetzen, Menschen, die füreinander da sind. Das sagt sich leichter und schneller als man es tun kann. Wir sind von Natur aus nicht Gebe- Menschen, sondern vielmehr „Nehme- Menschen“. Menschen, die lieber nehmen als geben, lieber empfangen als weiterschenken. Wir kennen aber alle das Sprichwort: „Geben ist seliger als Nehmen“.
Wir sollen deshalb verwandelt werden. Wir sollen aus „Nehme-Menschen“ in „Gebe-Menschen“ verwandelt werden. In Menschen, die sich immer mehr in Jesu Gesinnung und Lebenshaltung einüben. Das ist ein langer und mühsamer Prozess. Es lohnt sich aber, sich darauf einzulassen.
Ein Leben in der Nachfolge Jesu ist nicht zum Nulltarif zu haben. Ganz ohne Anstrengung und Selbstüberwindung, ohne Verzicht und Opfer geht es nicht. Papst Benedikt XVI. sagte einmal: „Gott hat uns nicht für das Bequeme geschaffen, sondern für das Große und für das Gute.“
Diese Botschaft ist keine neue Botschaft, sie ist so alt wie das Evangelium, wie das Christentum. Aber sie waren in Gefahr in Vergessenheit zu geraten. Ich hoffe, dass die schmerzlichen Erfahrungen, die wir jetzt machen müssen, uns helfen wieder aufmerksamer auf das zu hören, was dem Leben dient und uns und die Gesellschaft insgesamt weiterbringt.
Die Corona-Krise wird gewaltige Auswirkungen haben für unser Leben und die Welt, es wird zu großen Veränderungen kommen, auch in der Kirche. Wir alle sind gefordert, unseren Beitrag zu leisten, dass sich diese Veränderungen zum Wohle der Menschheit auswirken.

Pfarrer Karl Zirmer, Dekan des Dekanats Rüsselsheim

(Gerhardsbote Mai, 2020)