Zu: „Deportarea germanilor din Banat în Uniunea Sovietică. O prezentare a perspectivei copiilor lor prin relatări (re)povestite“

von Raluca Nelepcu

„Sowohl ich, als auch die anderen Kinder der Deportierten haben laut geweint und nach unseren Müttern gerufen, Mama, Mama!, während alle Mütter den Namen ihrer Kinder riefen, als Antwort auf das Weinen der Kinder“. So beschreibt Regina Gutekunst, geborene Imhof, aus Blumenthal/Mașloc, den Augenblick, als ihre Mutter zur Zwangsarbeit in die ehemalige Sowjetunion verschleppt wird. Die kleine Regina ist nicht einmal drei Jahre alt, als man sie von ihrer Mutter trennt –den Moment schildert ihr später die Großmutter, die auf sie aufpasst. Es scheint einer Prozession gleich, als die jungen Frauen und Männer Richtung Alioscher Flurkreuz zu Fuß marschieren, während im Dorf die Glocken läuten und die Hunde bellen – nur sind es diesmal keine Pilger, die es nach Maria Radna, dem Gnadenort im Kreis Arad, zieht, sondern Mütter und Väter, junge Menschen, die gegen ihren Willen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert werden. Sie sollen für einen Fehler bezahlen, den sie nicht begangen haben. Nur die Kinder und die Alten bleiben zurück, die jungen Deutschen werden in die Ferne verschleppt, von wo sie, krank und schwach, nach jahrelanger schwerster Arbeit, wieder nach Hause zurückkehren. Insgesamt 70.000 Deutsche aus Rumänien (davon rund 33.000 Banater Schwaben) wurden im Januar 1945 aufgrund ethnischer Kriterien zur Zwangsarbeit in die UdSSR verschleppt – etwa 9000 Menschen überlebten die Deportation nicht.
Es gibt wohl kaum eine Mutter auf dieser Welt, deren Herz beim Lesen des Buches „Deportarea germanilor din Banat în Uniunea Sovietică. O prezentare a perspectivei copiilor lor prin relatări (re)povestite“ unberührt bleibt. Für sensiblere Gemüter geht die Lektüre mit vielen Tränen einher, denn die Lebensgeschichten, die in dem Band zum Ausdruck kommen, sind endlos traurig. Hauptthema des Ende 2022 im „Cosmopolitan Art“-Verlag Temeswar/ Timișoara erschienenen Buches in rumänischer Sprache ist die Deportation der Banater Deutschen in die ehemalige Sowjetunion, so wie sie von den Kindern der Deportierten erlebt wurde oder wie sie es erzählt bekommen haben. Herausgeber des Bandes sind drei Gründungsmitglieder der Aktionsgruppe „Banat“, Albert Bohn, Werner Kremm und Anton Sterbling, der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben in Deutschland, Peter-Dietmar Leber, und der Chefredakteur der „Banater Post“, Walter Tonța. Für die rumänische Übersetzung zeichnen die Geschwister Sigrid Kuhn und Werner Kremm verantwortlich, wobei Werner Kremm eine umfangreiche Dokumentation zusammenstellen konnte, die die Erlebnisberichte ergänzt und für ein besseres Verständnis der historischen Ereignisse sorgt. Dass die Übersetzung eines solchen Bandes keine leichte Arbeit war und auch keine Seele unberührt lässt, das bestätigt ADZ-Redakteur Werner Kremm: „Ich konnte nur einzwei Geschichten pro Tag übersetzen“. Das Buch ist eine ins Rumänisch übertragene und ergänzte Fassung der beiden Bände, die in deutscher Sprache von der Landsmannschaft der Banater Schwaben 2021 und 2022 veröffentlicht worden sind. Der rumänischsprachige Band wurde Ende Januar im Adam-Müller-Guttenbrunn-Haus in Temeswar anlässlich des 78. Jahrestags seit dem Beginn der Russlandverschleppung der Rumäniendeutschen vorgestellt.
Peter-Dietmar Leber, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Banater Schwaben, reiste dafür eigens aus Deutschland an und bezog sich in seiner Rede auf das erste Treffen der ehemaligen Deportierten 1995, als erstmals dieses Thema in Deutschland öffentlich diskutiert wurde. Im Banat soll viel früher darüber gesprochen worden sein, so Peter-Dietmar Leber. „Die Menschheit hat doch nichts daraus gelernt“, sagte der Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Banater Schwaben bitter im Hinblick auf die aktuellen Ereignisse in der Welt. Die Idee zu einem solchen Band liegt nur wenige Jahre zurück. Es war am 12. Januar 2019, als in München, bei einer Gedenkveranstaltung der Landsmannschaft der Banater Schwaben zum 74. Jahrestag seit dem Beginn der Deportation der Rumäniendeutschen in die ehemalige Sowjetunion erstmals der Gedanke aufkam, die Verschleppung und ihre Folgen aus der Sicht der Kinder der Deportierten zu erfassen. Bei dem Treffen waren nur wenig ehemalige Deportierte dabei, dafür aber viele ihrer Kinder. Der aus Arad stammende Schriftsteller Albert Bohn, selbst ein Sohn von Verschleppten, unterbreitete den Vorschlag – seine Familiengeschichte ist ebenfalls in dem Buch nachzulesen. Nach einer Ankündigung in der „Banater Post“ in München und in der ADZ, Berichte einzusenden, konnten sage und schreibe 117 solche gesammelt und in der ersten Ausgabe berücksichtigt werden. Die Kinder der ehemaligen Deportierten mussten in ihren Berichten einige Fragen in einem Leitfragebogen beantworten. Eine zweite, ergänzte deutsche Ausgabe folgte, wobei 2022 noch umfangreichere in rumänischer Sprache erschien. Manche Berichte sind recht knapp verfasst, andere setzen sich intensiver mit dem Thema auseinander und erzählen detailliert sowohl von Ereignissen, als auch von Emotionen – und man würde als Leser meinen, es tut allen immer noch unheimlich weh, wenn sie sich an die schweren Kindheitsjahre ohne die Mutter/den Vater zurückerinnern. Da muss man sich doch einig sein: Kein Kind sollte jemals so etwas durchmachen. Eine Analyse der psychologischen Auswirkungen der Deportation auf das Leben der Rückkehrer und deren Familien wäre vielleicht ein weiteres Vorhaben, dem man künftig mehr Aufmerksamkeit schenken könnte, betonte Werner Kremm bei der Buchpräsentation. 741 Seiten umfasst der dritte, nun rumänischsprachige Band mit Deportationsgeschichten, die die Kinder der einst Verschleppten erzählen. Gemeinsamkeiten zwischen den Erzählberichten gibt es viele. So zum Beispiel erinnern sich viele Nachfahren der Deportierten, wie abends gemeinsam mit den Großeltern gebetet wurde, damit die Eltern wieder nach Hause zurückkehren. „Wer nicht an Gott glaubt, der kann die Würde und Rechte der Menschen nicht verteidigen“, hatte Ignaz Bernhard Fischer, der Vorsitzende des Vereins der ehemaligen Russlanddeportierten, bei der Buchvorstellung in Temeswar gesagt. Der Glaube an Gott scheint eine Konstante im Leben der Deportierten und deren Familien gewesen zu sein. Sehr ähnlich trugen sich auch die Momente des Wiedersehens zu, als die Kinder die eigene Mutter nach fünf Jahren nicht mehr erkannten. Einen solchen Augenblick hat der banatschwäbische Maler Franz Ferch auf einem Ölbild mit dem Titel „Kennst mich nimmer?“ festgehalten – das Bild ist im Buch auf Seite 51 abgebildet. Über die abenteuerliche Reise vieler Deportierten nach Hause, aber auch über das Leben nach der Deportation, wo die Mutter oder der Vater ein Leben lang unter den während der Zwangsarbeit erlittenen gesundheitlichen Schäden zu leiden haben, berichten viele der Deportiertenkinder. Einige von ihnen haben ihre Eltern nie wiedergesehen. Fast alle erzählen davon, dass das Thema der Deportation nach der Rückkehr aus Russland im engen Familienkreis kein Tabuthema war. Wie wichtig die Großeltern waren, die nach zwei Kriegen nun plötzlich zu Mutter und Vater für ihre Enkelkinder wurden, das kommt ebenfalls in dem Buch zum Ausdruck. Die Berichte werden durch verschiedene Ausweise der Russlandverschleppten ergänzt. Der Band in rumänischer Sprache umfasst zum Schluss eine umfangreiche Dokumentation. Der Soziologe Anton Sterbling verfasst eine wissenschaftliche Analyse der gesammelten Berichte, und hebt dabei hervor: „Historische Katastrophen und politische Verbrechen, durch wen auch immer verschuldet und zu verantworten, haben nicht selten schwerwiegende und langfristige Auswirkungen, deren zeitliche und sachliche Reichweite man oft gar nicht angemessen beurteilen und abschätzen kann. Sie treffen zudem nicht selten individuell und im subjektiven Sinne schuldlose Menschen, die dafür mitunter auch noch in der Generationenfolge in kollektive Haftung genommen werden“. Zwei weitere Mitglieder der Aktionsgruppe „Banat“, Johann Lippet und William Totok, kommen ebenfalls in dem Buch zu Wort. Während Johann Lippet ganz persönlich über die Deportation seiner Eltern berichtet, bezieht sich William Totok auf die Behandlung dieses Themas in den Medien und dessen Besprechung in Schriftstellerkreisen während des Kommunismus. Auszüge aus Securitate-Akten, aus denen die Auseinandersetzung von Zeitungsredakteuren oder Schriftstellern wie etwa Nikolaus Berwanger, Ludwig Schwartz oder Johann Lippet mit dem Thema der Deportation hervorgeht, sind ebenfalls in dem Band abgedruckt. Zusätzliche Dokumentation wurde vom Archivar der Diözese Temeswar, Dr. Claudiu Călin, zur Verfügung gestellt. So beispielsweise ein Memorandum des römisch-katholischen Pfarrers Josef Kleitsch aus Orschowa/Orșova, der die rumänischen Behörden auf die verzweifelte Situation der verbliebenen Glaubensgemeinschaft aufmerksam zu machen versucht und darum bittet, dass die Deportierten wieder nach Hause zurückgeholt werden – natürlich bleibt der Wunsch des Pfarrers eine Utopie. Regina Gutekunst aus Blumenthal, deren Bericht in dem Band auf Seite 208 zu lesen ist, konnte ihre Mutter wieder in ihre Arme schließen. 1949 kehrte die Frau nach fünfjähriger Schwerstarbeit in Sibirien wieder nach Blumenthal zurück. Ihren Vater hat Regina jedoch nie kennengelernt: Er starb im Zweiten Weltkrieg am 30. Dezember 1944 auf dem Gebiet von Luxemburg. Dies ist nur eine tragische Lebensgeschichte, die man im Band nachlesen kann. Über das Thema der Russlanddeportation der Rumäniendeutschen wird in der rumänischen Öffentlichkeit nach wie vor viel zu wenig diskutiert. Einen zusätzlichen Anlass dazu, sich verstärkt damit auseinanderzusetzen, bietet nun das Buch „Deportarea germanilor din Banat în Uniunea Sovietică. O prezentare a perspectivei copiilor lor prin relatări (re)povestite“.

Erschienen in Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien, 31. Jahrgang/Nr. 7528 Bukarest, Freitag, 24. Februar 2023, S. 10
Redaktionelle Bearbeitung: Claudiu Călin, Pressestelle der Diözese Temeswar