Willst du Gottes Liebe seh‘n,
bleibe bei dem Kreuze steh’n.
Obwohl reichlich mit geschichtlichen Fakten untermauert, erhebt dieser Aufsatz nicht den Anspruch einer solchen Dokumentation. Vielmehr ist es eine Erinnerung an die vom Winde verwehten steinernen Zeugen unseres christlichen Grabatzer Brauchtums.
Der beklagenswerte Zustand von Kirche und Friedhof sowie die inzwischen verschwundenen christlichen Symbole rechtfertigen die Beschäftigung mit diesem Thema.
Für das 2022 leider nicht mehr in Druck gegangene Heimatblatt war ein Spaziergang durch Grabatz anhand von damals aktuellen Fotos geplant. Beginnend mit dem Wegkreuz im Osten, Richtung Lenauheim, sollte der Leser durch das Dorf bis zum Wegkreuz am Feldweg im Westen Richtung Groß-Komlosch geführt werden.
Egal in welche Richtung man Grabatz früher auch verließ oder woher man kam, alle Wege führten an den Dorf-oder Gemarkungskreuzen vorbei.
An den Ausfallstraßen unserer Banater deutschen Dörfer standen in den 50-ziger und 60-ziger Jahren noch diese besonders im Frühling und an Feiertagen oder lokalen Bitttagen mit Blumen geschmückten Wegkreuze.
In den 70-ziger und 80-ziger Jahren wurden diese christlichen Symbole immer seltener mit Blumenschmuck bedacht und beachtet, auch fanden im öffentlichen Raum im Banat fast keine kirchlichen Prozessionen mehr statt.
Mit der einsetzenden Ausreise-Hysterie begann auch das Desinteresse an den Flurkreuzen und ein schleichender Verfall setzte ein. Ein unsichtbarer, lähmender Schleier legte sich über das Banat nach dem Motto: „ Wir machen nur noch das Nötigste, wir gehen eh bald nach Deutschland“. Letztlich folgten eine kollektive Preisgabe und ein allmähliches Vergessen. Auch in der „Heimatliteratur“ scheint das Thema der Weg-und Flurkreuze vergessen worden zu sein. Recherchen dazu offenbarten, dass erstaunlich wenig darüber publiziert wurde. Gymnasiallehrer Karl-Hans Gross widmet im Hatzfelder Heimatbuch diesen Kreuzen, besonders dem verschwundenen Cholerakreuz, eine eingehende, umfangreiche Dokumentation.
Die geläufigsten Bezeichnungen sind: Flurkreuz, Wegkreuz, Feldkreuz oder Gemarkungskreuz, jedoch sind fast alle Kruzifixe, also eine Darstellung des gekreuzigten Christus. Als allgemeines Zeichen des christlichen Glaubens sind sie jedoch eher in katholischen Gegenden verbreitet.
Das wohl bekannteste und meist fotografierte Wegkreuz überhaupt befindet sich in Lothringen auf der Straße nach Bühl, bei dem am 20. August 1914 in der Schlacht von Saarburg das Kreuz weggeschossen wurde und die Statue des Heilands dennoch auf wundersame Weise bis heute aufrecht stehen blieb.
Die Tradition dieser Kreuze könnte von unseren katholischen Lothringer Vorfahren mitgebracht worden sein. Zum Vergleich das Wegkreuz aus dem Lothringischen Weckersweiler, der Urheimat der Grabatzer Unterreiner, mit dem Marmorkreuz vor der Kirche.
Dennoch ist bezüglich unserer Banater sakralen Bauten und Denkmäler, Andachtsstätten wie Wegkreuze, Bildstöcke oder Kalvarienberge die Anlehnung an die süddeutsch-österreichische Sakrallandschaft unverkennbar.
Schon bald nach ihrer Ansiedlung errichteten unsere Ahnen die ersten Kreuze und verpflichteten sich, diese selbst oder von ihren Nachkommen immer in gutem Zustand zu halten.
Heute stehen in Grabatz von ehemals sechs auf gemauerten oder steinernen Podesten ruhenden nur noch zwei Wegkreuze; auch eines der Kreuze auf dem Kalvarienberg sowie die Friedhofskapelle sind nach 1989 dem Vandalismus zum Opfer gefallen.
Wo das Missionskreuz hing (links unterhalb des Fensters), ist nur noch der Abdruck seines Querbalkens erkennbar.
Das Missionskreuz mit den Jahreszahlen der stattgefundenen Missionstage zierte fast hundert Jahre die Westwand der Grabatzer Kirche.
Die Kirche selbst ist seit vielen Jahren ein Schandfleck mitten im Dorf! Allein das weiße Marmorkreuz vor der Kirche hat bisher unbeschadet überlebt.
Dazu der Eintrag von 1830 in der Historia Domus von Pfarrer Georg Sauer: „ Hoc Anno lapidea ante Ecclesiam sumptibus Nicolai Kotschal procurata est; prout et alia Cruces lignus novitus erecta…“ („In diesem Jahr wurde der Stein vor der Kirche auf Kosten von Nikolaus Gottschall beschafft; und stolze andere Kreuze aus neuem Holz errichtet.“ Übersetzung –W. Schneider)
Zum religiösen Brauchtum unserer Vorfahren gehörte auch die Verehrung der Feld- und Wegkreuze am Dorfrand.
Anna Klein, geb. Haag, (Jahrgang 1935) erzählte mir, dass Bitttage bzw. Bittprozessionen an den drei Tagen vor dem Fronleichnamsfest zu diesen Kreuzen abgehalten wurden. Doch waren dies keine eucharistischen Prozessionen mit Mitführung des Allerheiligsten. Die Monstranz wurde erst an der folgenden Fronleichnams- Prozession durchs Dorf getragen. Die Prozession pilgerte an den Bitttagen zu den Feldkreuzen, wo für Nachlass der Sünden, für gute Witterung zum Gedeihen der Ernte und für Frieden gebetet wurde. Die Pilger waren hauptsächlich die sogenannten Grabatzer „Betweiber“ und Kinder, die auch in der Fastenzeit die Kreuzwegandachten in der Kirche mit dem Pfarrer beteten.
Für den Wanderer oder Reisenden bedeuteten die am Ortsrand errichteten Kruzifixe, sowohl: „ Geh‘ mit Gott“, aber auch: „ Hier betrittst du einen christlichen Ort“. Gläubige Menschen beteten oder bekreuzigten sich davor in der Früh auf dem Weg zur Feldarbeit und abends, wenn sie von getaner Arbeit zurückkamen. Im Vorbeigehen schlug man ein Kreuzzeichen und murmelte ein „ Globt sei’s Chrischt!“
Der malende Banater Chronist Stefan Jäger hat als guter Beobachter eine genaue Wiedergabe der Feldkreuze hinterlassen. So ähnlich wie das Kreuz im Hintergrund sahen sie auch in unserem Dorf aus.
Erste schriftliche Hinweise auf die Grabatzer Gemarkungskreuze aus Holz sowie ihre Stifter und festgelegten Erhalter finden wir im Grabatzer Heimatbuch, 1982 von Dr. Anton Peter Petri. Erwähnt sind alle damals in Grabatz befindlichen Kreuze, auch die sechs Weg-oder Gemarkungskreuze an den Ausfallstraßen in Richtung der umliegenden Nachbargemeinden.
Pfarrer Horvath hat in der kürzlich entdeckten „Geschichte der römisch-katholischen Pfarrei Grabatz“ von 1894 erstaunlicherweise über die Errichtung dieser ersten Kreuze zwischen 1826 und 1832, nicht berichtet, obwohl der gewissenhafte Pfarrer Georg Sauer ( György Szauer) dies in der Historia Domus vermerkt hatte. Sicherlich konnte Horvath nicht alles, was in 130 Jahren zuvor aufgeschrieben worden war, übernehmen. Dennoch ist es verwunderlich, dass dieser Aspekt der Volksfrömmigkeit außer Acht gelassen wurde.
Nach rund hundert Jahren dürfte selbst das geweihte Holz ausgedient haben und der Witterung zum Opfer gefallen sein.
Ob die Holzkreuze des alten Friedhofs, gestiftet 1801 von Josef Birkenheuer und jenes von 1829 von Josef Sedlak bei der endgültigen Aufgabe des Friedhofs im Februar 1872 in den neuen mitgenommen wurden, ist nicht belegt. Sie könnten bis zur Überführung der letzten Gebeine 1909 als Erinnerung an die hier „Zurückgelassenen“ geblieben sein. Die heute noch stehenden Friedhofskreuze wurden erst im darauffolgenden Jahr 1873 eingeweiht.
Vor ca. hundert Jahren wurden dank weiterer Stifter die alten, maroden Holzkreuze durch Metallkreuze ersetzt. Sie alle stehen auf einem gemauerten oder steinernen Podest.
Die Informationen zu den noch zwei erhalten gebliebenen Grabatzer Wegkreuzen und ihren Stiftern erhielt ich bereitwillig von Emil Behr ( Jg.1933 ).
Zu dem Kreuz an der Straße nach Ostern sagte er: „ Es is in dr Jauche unergan“. Wer es gestiftet hat, weiß er leider nicht mehr. Dieses Kreuz stand im Süden von Grabatz, unweit des Hatzfelder Kreuzes, an der Weggabelung nach Westen, Richtung Ostern. Tatsächlich entsorgte der staatliche Landwirtschaftsbetrieb dort die Jauche, sodass ein sumpfiges, unzugängliches Areal entstand, in dem das schwere Kreuz leicht den Halt verlieren und umfallen konnte.
Das Hatzfelder Wegkreuz ist ebenfalls verschwunden. Doch bereits kurz nach dem politischen Umsturz in Rumänien errichteten rumänische Gläubige dem damaligen Zeitgeist und Geschmack entsprechend ein aus zwei Rohren zusammengeschweißtes neues Kreuz. Aber auch dieses zierte nur für kurze Zeit die nach Hatzfeld führende Straße, bis es den Weg zum Alteisenhändler gehen musste.
Die metallenen, kunstvoll gefertigten Kruzifixe ragten aus einem steinernen oder gemauerten, verputzten und weiß getünchten, fast zwei Meter hohen Podest in den Himmel empor. Am Sockel waren Stifter und Jahreszahl eingemeißelt: „ Gestiftet von … im Jahre …“ und die in Stein gehauene Doxologie (Gottesverherrlichung) „Gott zur Ehre“.
Das in Richtung Lenauheim noch erhaltene Wegkreuz steht auf einem Podest aus doppelt gebrannten Brennstein-oder glasierten Backsteinziegeln, wie auch die Ringmauer des Friedhofs.
Das von Nikolaus Neurohr, Hausnr. 130, gestiftete Wegkreuz ist ein äußerst kunstvoll gestaltetes Hochkreuz, bzw. Passionskreuz, das mit seinen Verzierungen gar einem Kardinalskreuz ähnelt. Es ruht an seiner Basis, gleich über dem gemauerten Postament, auf der Expositionsnische, einer Nische, in die bei feierlichen, eucharistischen Prozessionen eine Monstranz abgestellt werden konnte. Darüber sind biblische Gestalten dargestellt, die ein Medaillon stützen, auf dem der Name des Stifters Nikolaus Neurohr und die Jahreszahl vermerkt waren. Das Hochkreuz setzt sich mit einer filigranen Darstellung des gekreuzigten Christus und des Querbalkens fort. Dazu sind in Kopfhöhe des Gekreuzigten vier strahlenförmige Hände, die Evangelisten symbolisierend, hinterlegt.
Nikolaus Neurohr starb, wie auch der Stifter des Kreuzes in Richtung Komlosch, in der Baragan-Deportation. Die von ihnen gestifteten eisernen Kreuze scheinen als Massenprodukt auch in anderen Ortschaften aufgestellt geworden zu sein.
Im Westen von Grabatz standen ebenfalls zwei Gemarkungskreuze in unmittelbarer Nähe zueinander. Das inzwischen ebenfalls verschwundene Gottlober Kreuz stand am westlichen Dorfrand, an der Straßenbiegung Richtung Norden. Die einzigen noch verfügbaren Aufnahmen verdanken wir Alfred Ivanov.
Das hier bereits gebrochene Kreuz wurde noch pietätsvoll und in guter Absicht an den Rumpf gelehnt. Allerdings mit dem Gesicht nicht in die ursprüngliche Richtung. Es ist die Rückseite des steinernen Postaments, auf dem leider das Firmensiegel des Steinmetzes nicht mehr entzifferbar ist. Es scheint wie das einige Meter weiter stehende Komloscher Wegkreuz vom selben Meister gefertigt zu sein.
Auf der nach Norden zeigenden Vorderseite sind aus dieser Perspektive der Stifter und die Jahreszahl leider nicht zu erkennen. Das angerostete Metallkreuz mag gottlosen Metallhändlern zum Opfer gefallen sein, doch wie konnte der einbetonierte, schwere Steinquader verschwinden?
Das zweite, noch erhaltene Flurkreuz ist ebenfalls ein besonderes. Es befindet am westlichen äußeren Dorfrand, dem Feldweg nach Groß Komlosch.
Das von Jakob Behr 1928 gestiftete Wegkreuz Richtung Komlosch misst von der Basis bis zur Kreuzspitze misst das Monument ca. 3 Meter. Das Postament hier ist von einem Steinmetz aus Stein gehauen, eine künstlerisch anspruchsvolle, sicherlich auch kostspielige Arbeit. Der Stifter Jakob Behr war mit Abstand auch der großzügigste Spender zur Errichtung des Grabatzer Kriegerdenkmals. In der oval gehauenen Vertiefung sind der Stiftername Jakob Behr und die Jahreszahl 1928 eingemeißelt. Darüber steht: ZUR EHRE GOTTES.
Aus dem oberen Abschluss des Postaments ragt das kunstvoll geschmiedete Metallkreuz, ebenfalls ein Hochkreuz. Seine Basis zieren zwei Engel um ein herzförmiges Medaillon angeordnet. Der Gekreuzigte ist mit dem Gesicht nach Norden gewandt. Das ca. ein Meter große Kreuz selbst ist bereits ca. 15 Grad nach Süd-Westen geneigt. Die gegen Norden zeigende untere Seite ist nach fast hundert Jahren sehr von Moos bewachsen. Vor dem Kreuze sind links und rechts zwei steinerne Pfosten in die Erde eingelassen, die zum Schutz des Kreuzes mit einem Rohr verbunden waren und verhindern sollten, dass sich Tiere daran reiben.
Gerade an diesem Wegkreuz kam ich als Kind und Jugendlicher mit dem Fahrrad auf dem Weg zu meinen Großeltern nach Komlosch häufig vorbei. Auch heute noch erinnere ich mich gerne zurück, wie ich von meinem Vater dazu angehalten wurde, mich zu bekreuzigen und zu sagen: GELOBT SEI JESUS CHRISTUS!
Walter Schneider