1. lectio

Ioh 19,17-30
„Und er selbst trug das Kreuz und ging hinaus zur sogenannten Schädelstätte, die auf Hebräisch Golgota heißt. Dort kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere, auf jeder Seite einen, in der Mitte aber Jesus.
Pilatus ließ auch eine Tafel anfertigen und oben am Kreuz befestigen; die Inschrift lautete: Jesus von Nazaret, der König der Juden. Diese Tafel lasen viele Juden, weil der Platz, wo Jesus gekreuzigt wurde, nahe bei der Stadt lag. Die Inschrift war hebräisch, lateinisch und griechisch abgefasst. Da sagten die Hohepriester der Juden zu Pilatus: Schreib nicht: Der König der Juden, sondern dass er gesagt hat: Ich bin der König der Juden. Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben.
Nachdem die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile daraus, für jeden Soldaten einen Teil, und dazu das Untergewand. Das Untergewand war aber ohne Naht von oben ganz durchgewoben. Da sagten sie zueinander: Wir wollen es nicht zerteilen, sondern darum losen, wem es gehören soll. So sollte sich das Schriftwort erfüllen: Sie verteilten meine Kleider unter sich und warfen das Los um mein Gewand. Dies taten die Soldaten.
Bei dem Kreuz Jesu standen seine Mutter und die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Klopas, und Maria von Magdala. Als Jesus die Mutter sah und bei ihr den Jünger, den er liebte, sagte er zur Mutter: Frau, siehe, dein Sohn! Dann sagte er zu dem Jünger: Siehe, deine Mutter! Und von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.
Danach, da Jesus wusste, dass nun alles vollbracht war, sagte er, damit sich die Schrift erfüllte: Mich dürstet. Ein Gefäß voll Essig stand da. Sie steckten einen Schwamm voll Essig auf einen Ysopzweig und hielten ihn an seinen Mund. Als Jesus von dem Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist.“

Hinweise zum Verständnis:
Aus dem Umstand, daß Jesus seine Mutter dem Lieblingsjünger als Mutter gegeben hat, haben einige den Schluß gezogen, daß ihr Ehemann Josef gestorben war, und Jesus sie nicht ohne männlichen Schutz zurücklassen wollte. Doch es gab andere Männer in Jesu Familie, seine Brüder bzw. seine Vettern, die sogar verpflichtet waren, ihre Mutter oder Tante als Witwe in ihre Häuser aufzunehmen. Der Evangelist Johannes wollte wohl eher zu verstehen geben, daß diejenigen, die Jesus lieben und die er liebt, eine geistliche Familie bilden. Ihre Liebe zu Jesus erzeugt nicht eine Konkurrenz zwischen ihnen, sondern eint sie im Heiligen Geist.

2. meditatio

  • Das Kreuz Jesu stellt die Liebe der ihm Nahestehenden auf die Probe. Die meisten Jünger haben diesen Test nicht allzu gut bestanden. Es sind vor allem Frauen, die den Mut haben, beim Kreuz zu stehen unter den Augen der römischen Soldaten. Wie wäre meine Reaktion, wenn mich jemand als verdächtig ansieht, weil ich zu Jesus halte?
  • Es gibt leidvolle Situationen, in denen keine Hilfe möglich ist, in denen keine Worte der Erklärung angebracht sind. Habe ich den Mut, in solchen Momenten einfach da zu sein, auch wenn ich nicht weiß, was ich tun und was ich sagen soll?
  • Was meine ich, in welcher Hinsicht war das Leiden Jesu wie das jedes leidenden Menschen und in welcher Hinsicht war es anders, einmalig, wie man poetisch sagen könnte: ein Tod, der vom Leben singt?

3. oratio
Herr Jesus Christus, durch Deinen Tod hast Du die Welt erlöst. So beten wir. Aber warum mußtest Du sterben, damit wir befreit würden? Auch Deine Jünger haben diese Notwendigkeit schwer verstanden. Die Tatsache, daß das irdische Leben durch den Tod begrenzt ist, führt uns in Versuchung, uns Annehmlichkeiten auf Kosten anderer zu nehmen, damit wir keinen Mangel hätten. Nur die Überwindung des Todes durch den Tod konnte diesen Teufelskreis des Egoismus durchbrechen. Deine Auferstehung hat uns gezeigt, daß kein Mangel die Fülle des Lebens aufheben kann, die aus Gott strömt. Deshalb sind wir frei zu lieben. Wir müssen nicht mit anderen um begrenzte Resourcen konkurrieren. Am Kreuz sterbend hast Du uns in die göttliche Wirklichkeit erhoben. Wir preisen Dich in Ewigkeit. Amen.

4. contemplatio
Als Jesus den Geist aufgab/übergab, hat er nichts für sich selbst zurückbehalten, und so ist er zur Quelle des Lebens für die Welt geworden. Dieser Geist ist der Heilige Geist, der jeden von uns heiligen will.

5. actio
Such im Internet, wie das Kreuz von San Damiano in Assisi aussieht und wie das Kreuz am Isenheimer Altar in Colmar. Welches, glaubst du, entspricht mehr der Wahrheit?

Lectio-divina-Impuls aus dem Salvatorianerkloster in Temeswar-Elisabethstadt